Wie wurde der weibliche Orgasmus zum Begriff?
Wie wurde der weibliche Orgasmus zum Begriff und wie brachten Frauen die sexuelle Revolution zum Abschluss.
Frauen waren früher in Bezug auf Sexualität um einiges verschlossener. (PhotoXpress)
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Die Sechziger – Frauen entdecken zwanglosen Sex
Ab den Sechzigern begann, das Machtverhältnis zwischen der männlichen und weiblichen Emanzipation zu schwinden. Wurde die Frauenrolle früher eher passiv gestaltet und der männlichen (sexuellen) Dominanz unterlegen, so war zwangloser Sex in den Siebzigern eine ganz normale Sache (Jong, 1973).
Feministinnen machten die freudsche Hypothese über den vaginalen Orgasmus zunichte und stellten den klitoralen Genuss an die erste Stelle. Sex aufgrund von Sex allein beziehungsweise purer Erotizismus wurde zu einer gängigen und annehmbaren sexuellen Alternative, obwohl er in seiner idealen Form größtenteils von Homosexuellen realisiert wurde. Auch jene Frauen, die die Träume über die Freiheit des Gelüstens vertraten, teilten mit anderen Frauen den für sie ehemals utopischen Wunsch nach Sexualität minus männlicher Vorherrschaft. Der Einklang zwischen der fleischlichen Lust und dem Wunsch nach einem intimen Verhältnis erwies sich jedoch als problematisch. Die sexuelle Revolution im Sinne der Befreiung von der traditionellen Sichtweise an sich vergaß leider die Anforderungen, die auf sie folgten.
Die Achtziger – ein schallendes NEIN zur Vortäuschung des Orgasmus
In den Achtzigern hat sich der Fokus von den Generationsabweichungen zu den Abweichungen zwischen den Geschlechtern gesinnt, und die Frauenbewegung wurde durch Fragen in Bezug auf Themen wie sexuelle Gewalt, sexuelle Belästigung und Pornografie erschüttert. Frauen fanden im Rahmen verschiedener Diskussionsgruppen heraus, dass es eher wenige gab, die den Orgasmus vortäuschten. Kate Millet attackierte mit ihrer „Theorie der Sexualpolitik“ Anfang der 1970er die feindliche Gesinnung der männlichen Kultur und stellte fest, dass nur zwangloser Sex zu einer gesunden Beziehung führen könne. Shulamith Firestone sah die Lösung zur sexuellen Befreiung von allem Beengenden gar in der künstlichen Befruchtung. Frauen nahmen sich dessen an, das Verlangen nach Kontrolle über ihren eigenen Körper im Kampf für die Legalisierung der Abtreibung und in der gesetzlichen Festlegung von Vergewaltigung als kriminellen Akt auszudrücken.
Radikale Feministinnen kontra Pornografie
Sie pflegten die Überzeugung, dass Pornografie Männer zur Gewalt gegen Frauen anspornt, und bezeichneten alle Männer als Unterdrücker. Sexualität definierten sie gar als Waffe, die sich Männer zum Stillen ihrer Bedürfnisse zu Nutze machen. Die Antipornobewegung tendierte dazu, das ganze Genre hart zu verurteilen, trotz der Tatsache, dass es auch zu jener Zeit schon eine Handvoll von ernst zu nehmenden Studien darüber gab, dass Pornografie nicht nur Männer errege, sondern auch Frauen, und dass es zwischen den Erfahrungen der Pornogucker in Bezug auf das Geschlecht relativ wenig Abweichungen gab. Und wo steckt die Ironie? Sie steckt in der Problematik der sexuellen Emanzipation, die sich durch den Angriff auf die sogenannte, seitens der Männerwelt konstruierte und ausgeübte, Unterdrückung wehrte, was in der Furcht der Frauen gründete, bloß als Sexualobjekte angesehen zu werden.
Die Auflehnung gegen die männliche Unterdrückung oder „Auch wir wollen unseren Orgasmus!“
Auf der Gegenseite der sexuellen Emanzipation lehnten sich Frauen gegen die männliche Dominanz durch das grundsätzliche Ablehnen einer intimen Beziehung gemäß dem Prinzip „Suche nicht nach Glück, sondern nach dem Orgasmus!“ auf, wie es Rubinstein klarstellte. Im Zuge der Angst vor dem Verlust der Macht in Bezug auf Männer nahmen sie den puren Erotizismus an und entsagten der Liebe völlig. Diese beiden Extreme, nämlich die Zurückweisung von Erotizismus und von Intimität zeigen auf die verzwickte Situation von Intimität und Liebe in einer Epoche, in der Frauen die Macht gegeben war, sich nicht bloß in Bezug auf einen einzigen Aspekt auszudrücken.
Die späten Achtziger – Pornos für Frauen
In den späten Achtzigern suchten Feministinnen nach männlicher Unterdrückung in den gängigen Gesellschaftsmustern und Persönlichkeitsstrukturen. Nebenbei begann auch das Interesse für weibliche Fragen bezüglich der Sexualität zu steigen. Im Gegensatz zur Antipornobewegung, die als Puritanismus gebrandmarkt wurde, tauchten auf dem Markt Pornos für Frauen auf, die den weiblichen Genuss und Frauen als Initiatorinnen von sexueller Aktivität in den Mittelpunkt stellten.
Frauen begannen entspannter auf die Dinge zu blicken, die früher exklusiv in männlicher Domäne standen, wie mehrere Beziehungen auf einmal, Erfahrungen mit One-Night-Stands mit völlig Fremden usw. Wir können also annehmen, dass die weibliche und die männliche Sicht auf das sexuelle Verlangen langsam in Einklang gebracht wurden.
Die Neunziger – Eine Flut von Sexspielzeug für Frauen
Vor allem Vibratoren waren es, deren Verkauf neben Pornofilmen und anderem Sexspielzeug zwischen 1993 und 1994 in Deutschland um 25 % anstieg (Wouters, 1999). Pornografie und Experimentierfreudigkeit wurden die Trumpfkarten zum Aufpeppen von Beziehungen und viele Frauen wandten sich „kinky Sex“ und „Bodypiercing“ zu. Oralsex wurde zur Mode, teilweise auch aufgrund der Angst vor AIDS.
Intimität wird wieder aus der Schublade hervorgeholt
In den Neunzigern keimte der Wunsch nach Intimität in der Beziehung wieder auf. Sexualität wurde wieder als ein wichtiger Teil einer blühenden Beziehung verstanden und purer Erotizismus begann, an Boden zu verlieren. Das Motto „Sex aufgrund von Sex allein“ verlor an Sinn und auch bei Teenagern, bei Mädchen wie auch bei Jungen, wurde einer auf Liebe gründen Beziehung mehr Bedeutung zugesprochen.
Power Feminismus
Ein Begriff, den Carry Bradshaw (Sarah Jessica Parker) in der TV-Serie Sex and the City populär machte, der die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der Männerwelt befürwortet und all jene Feministinnen als „Opfer“ brandmarkt, die sich immer noch auf die männliche Unterdrückung stützen. Die gesellschaftliche Interaktion zwischen den Geschlechtern wurde aufgrund von gegenseitigem Vertrauen vorsichtiger und, da sie zum Schlüsselelement einer modernen Beziehung wurde, auch heikler. Als der weibliche Orgasmus endlich zum Begriff wurde, fiel die Grenze zwischen der männlichen und der weiblichen Manifestation des Sextriebs zu Gunsten von größerer Variabilität in dieser Hinsicht fast gänzlich weg.
Frauen geben heutzutage viel mehr Initiative als früher und sprechen auch ihre sexuellen Vorlieben und Wünsche freier und unbeschwerter an. Die Zeitspanne des Sexuallebens von Frauen gewann auch zunehmend an Länge und Bedeutung und geht heutzutage mit der Zeitspanne des Sexuallebens von Männern Hand in Hand. Die Fünfziger sind also auch in dieser Hinsicht vorbei.
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